Ethikrat diskutierte Fragen des Zugangs zu Medikamenten in Entwicklungs- und Schwellenländern
Ein Drittel der Weltbevölkerung habe keinen Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten; die Hälfte der Betroffenen lebe in den ärmsten Regionen Afrikas und Asiens, so Christiane Woopen, die Vorsitzende des Ethikrates, zu Beginn der Veranstaltung. Inwiefern können Mechanismen der Marktwirtschaft zur Gerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung beitragen? Welche Verantwortung tragen Industrie, Wissenschaft und Staaten für die Gesundheitsversorgung für die Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern? Bei diesen Fragen spiele der Patentschutz von Medikamenten eine beispielhafte Rolle. Einerseits solle der Patentschutz Anreize für die Entwicklung von Innovationen setzen, andererseits stehe er aber unter dem Verdacht, den Zugang zu diesen Innovationen zu blockieren und Menschen von wesentlicher Gesundheitsversorgung abzuschneiden.
Der Völkerrechtler Holger Hestermeyer vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg stellte die rechtlichen Rahmenbedingungen vor: Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) regelt den Patentschutz auf internationaler Ebene und ist für alle Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation bindend. Es entfaltet damit unmittelbare materielle Wirkung für die Staaten und Unternehmen. Demgegenüber sei das im UN-Sozialpakt verbriefte Menschenrecht auf Gesundheit für den Staat ein Auftrag, aber für den Bürger nicht einklagbar.
Der Gesundheitswissenschaftler Albrecht Jahn von der Universität Heidelberg steht dieser Entwicklung kritisch gegenüber. Das Patentrecht habe nicht dazu geführt, dass die Industrie ihre hohen Profite in die Forschung an neuen Medikamenten investiere. Die im Jahr 2001 von der Welthandelsorganisation angenommene Doha-Deklaration erleichtere es den Staaten trotz Patentschutzes, den Zugang zu essenziellen Medikamenten zu ermöglichen. Um nachhaltig eine bessere Versorgung zu gewährleisten, sollten die Kosten für Forschung und Entwicklung von den Medikamentenpreisen entkoppelt werden. Vorschläge hierfür hat die CEWG, eine Arbeitsgruppe der WHO, der Weltgesundheitsversammlung im Mai 2012 vorgelegt.
Diesen Gedanken unterstrich auch die Philosophin Corinna Mieth von der Ruhr-Universität Bochum. Patentschutz lasse sich ethisch zwar rechtfertigen, doch wenn es in einzelnen Bereichen bessere Alternativen gebe, um Menschen in Not zu helfen, ohne die Interessen der Industrie übermäßig zu verletzen, dann gebe es eine moralische Verpflichtung, diese zu verfolgen. Infrage kämen Modelle, die die Staaten verpflichteten, einen gewissen Teil ihrer Budgets für die Erforschung und Bereitstellung wichtiger Medikamente für vernachlässigte Erkrankungen zur Verfügung zu stellen.
Die Suche nach Lösungen stand auch im Fokus des anschließenden Streitgesprächs. Helge Braun, Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, sprach sich dafür aus, die Erforschung von Medikamenten zu fördern, für die der Patentschutz kaum Anreize schaffe. So betreibe die Bundesregierung seit 2010 den Aufbau gezielter Forschungskooperationen zwischen deutschen und afrikanischen Institutionen sowie die Beteiligung an Produktentwicklungspartnerschaften für die Entwicklung und Finanzierung von Medikamenten.
Cornelius Erbe vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller argumentierte, die Debatte um den Patentschutz gehe am eigentlichen Problem vorbei. Die meisten lebensnotwendigen Medikamente seien längst nicht mehr durch Patente geschützt, die Versorgung der Menschen scheitere vielmehr an infrastrukturellen, speziell logistischen Problemen. Hier müsse der Hebel angesetzt werden.
Christiane Fischer von der BUKO-Pharma-Kampagne und gleichzeitig Mitglied des Ethikrates, kritisierte diese Argumentation. Man könne von der Pharmaindustrie durchaus erwarten, dass sie dringend benötigte Medikamente produziere und die Versorgung der Bevölkerungen in den armen Ländern nicht durch den Patentschutz behindere.
Im Vordergrund der Diskussionsrunde mit dem Publikum standen die Möglichkeiten der Regulierung des Pharmasektors. Ein Resümee aus dem Publikum, neue Innovationsanreize außerhalb des Patentrechts zu schaffen, fand große Zustimmung.
Nun gelte es, die vorhandenen Modelle zur Fortentwicklung des Patentrechts zu einer strukturverändernden Strategie zu verbinden, betonte der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Wolf-Michael Catenhusen in seinem Schlusswort. „Dies ist ein Chance und eine Verpflichtung für Deutschland, Vorreiter der internationalen Entwicklung auf dem Gebiet der Gesundheitsforschung zu sein.“