Pressemitteilung 04/2009

Erste Jahrestagung des Deutschen Ethikrates zur Neuroethik fand große öffentliche Resonanz

29.05.2009

Die Neurowissenschaften entwickeln immer neue Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten, deren Tragweite trotz oder gerade wegen verheißungsvoller Anpreisungen oft schwer abzuschätzen ist.

Die besondere Brisanz liege darin, dass sich nicht nur Fragen innerhalb der Ethik stellen, wie etwa bei der Stammzellforschung auch, sondern dass die Grundlagen und Voraussetzungen der Ethik selbst berührt seien, da wir das Verhältnis zu uns selbst überdenken müssen, stellte die stellvertretende Vorsitzende Christiane Woopen in der Einführung heraus. Unser Menschenbild beeinflusse die Art und Weise, wie wir ethische Fragen stellen, welche Fragen wir für besonders wichtig halten und welche Antworten darauf gegeben werden.

Können uns Bilder des Gehirns dabei helfen, unser Denken und Fühlen zu verstehen? Ist es vertretbar, dass auch Gesunde zur Leistungssteigerung Medikamente nehmen, die für die Behandlung bei psychischer Krankheit, Demenz oder Aufmerksamkeitsstörungen entwickelt wurden? Wohin könnte es führen, wenn implantierte Elektroden immer gezielter Hirnfunktionen wie Motorik, Sprache und Stimmung beeinflussen können? Diese drei Fragen standen im Mittelpunkt der Tagung.

Die Neuropsychiaterin Barbara Wild zeichnete im einführenden Referat die historische Entwicklung unserer heutigen Vorstellungen vom Gehirn und - damit verbunden - unseres Bildes vom Menschen nach und gab einen Überblick über den aktuellen Stand der Hirnforschung.

Der Neurobiologe John-Dylan Haynes beleuchtete das noch junge Forschungsfeld des "Brain Readings", das untersucht, inwieweit man von Hirnprozessen einer Person auf Gedankeninhalte schließen kann. Es sei zwar derzeit noch nicht möglich, beliebige Gedanken zu interpretieren oder Erkenntnisse von einer Person auf eine andere zu übertragen; mit den bereits heute verfügbaren einfacheren Ansätzen zeichneten sich jedoch vielfältige Anwendungsmöglichkeiten ab, insbesondere in der Forensik und Kriminologie - Stichwort Lügendetektor - oder bei der Steuerung von Computern und künstlichen Prothesen mittels Gedanken.

Die Psychiaterin Isabella Heuser berichtete, dass bei gesunden Menschen der Trend zur Einnahme von Präparaten zur Verbesserung und Steigerung kognitiver Leistungen stark steige. Dabei handele es sich in erster Linie um Präparate, die zur Behandlung von Aufmerksamkeitsstörungen, Narkolepsie und Demenzkrankheiten entwickelt wurden. In ihrem Beitrag stellte sie die Forschungsergebnisse zu den Wirkungen und Nebenwirkungen von Antidepressiva, Stimulanzien und Antidementiva und die damit verbundenen ethischen Probleme vor.

Der Psychiater Thomas Schläpfer beschrieb in seinem Vortrag die tiefe Hirnstimulation als ein hochwirksames Verfahren zur Modulation stark gestörter neuronaler Aktivität und zur Therapie von mit anderen Verfahren nicht behandelbaren neurodegenerativen und psychiatrischen Erkrankungen. Schläpfer betonte, dass das Verfahren im Unterschied zur Psychochirurgie des letzten Jahrhunderts minimal invasiv, wenig belastend und voll reversibel sei. Oft können die Betroffenen erst durch diese Behandlung wieder ein selbstbestimmtes Leben führen.

Der Jurist Tade Matthias Spranger verwies darauf, dass in der Bewertung der Verfahren letztlich die Menschenwürde ausschlaggebend sei, die unabwägbar ist. Das "Gedankenlesen" mithilfe bildgebender Verfahren in Strafverfahren sei nicht zulässig, wenn es gegen den Willen der betroffenen Person geschieht, da jeder Mensch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung habe. Daneben ergäben sich aber auch Möglichkeiten zur Verbesserung der rechtlichen Situation z. B. behinderter Menschen, die mithilfe der Technik ihre Bedürfnisse besser kommunizieren und auf diese Weise ihre Rechtsfähigkeit wiedererlangen können.

Für den Strafrechtler Henning Rosenau sind Eingriffe in das Gehirn dann von juristischem Belang, wenn sie das Bild des Menschen und den Kern des Menschseins berühren. Es stelle sich jedoch die Frage, ob derartige Eingriffe bereits menschenwürderelevant und somit der Verfügungsbefugnis des Betroffenen entzogen seien. Außerdem müsse geklärt werden, ob Neuro-Enhancement aus gesellschaftlichen Gründen mit juristisch stichhaltiger Argumentation begrenzt werden könne.

Der Philosoph Ludger Honnefelder befasste sich mit der ethischen Dimension der Hirnforschung, mit dem Fazit, dass die Frage des Neuro-Enhancements vor allem als Frage nach der Authentizität, nach der Wahrung der personalen Identität in der Führung des eigenen individuellen Lebens diskutiert wird. Die Steigerung kognitiver Fähigkeiten des Menschen sei nur legitim, wenn es in der Gesellschaft einen Konsens darüber gebe, welche Ziele damit erreicht werden sollen.

Der Soziologe Wolfgang van den Daele und der Theologe Dietmar Mieth griffen diese Gedanken im abschließenden Streitgespräch auf. Van den Daele zeigte sich davon überzeugt, dass jeder für sich selbst entscheiden kann und muss, ob er noch authentisch leben kann, wenn er sich des Neuro-Enhancements bedient. Jedes fremde Urteil sei eine Anmaßung.

Mieth dagegen mahnte eine gesellschaftliche Debatte an, die zu konsensfähigen Beschlüssen darüber führt, was wir können, zulassen und erreichen wollen. Letztlich könne man zwar nicht verbieten, dass Menschen ihr eigenes Gehirn manipulieren; man könne jedoch der Entwicklung schädlicher Produkte und Maßnahmen sowie fremdnützigen Versuchen und Anwendungen rechtliche Grenzen setzen.

Das Publikum äußerte sich in drei Diskussionsrunden überwiegend kritisch gegenüber dem Neuro-Enhancement. Vorgebracht wurde insbesondere die Befürchtung, dass - gerade in einer von starkem Wettbewerb gekennzeichneten Leistungsgesellschaft - mit der zunehmenden Verfügbarkeit solcher Methoden der Druck auf den Einzelnen wachse, sie auch anzuwenden.

Das Programm und die Abstracts der Vorträge sind im Bereich "Jahrestagungen" abrufbar.