Pressemitteilung 07/2010

Ethikrat nimmt Beratungen zu Fragen der Reproduktionsmedizin auf

Am gestrigen Donnerstag hat der Deutsche Ethikrat seine Beratungen zu Fragen der Reproduktionsmedizin aufgenommen. Impulsreferate von Jochen Taupitz und Regine Kollek zu rechtlichen und medizinischen Aspekten neuer Entwicklungen im Bereich der Reproduktionsmedizin bildeten den Auftakt der Diskussionen, die in eine Stellungnahme des Rates münden sollen.

Ratsmitglied Jochen Taupitz stellte die Frage, inwieweit das Embryonenschutzgesetz noch zeitgemäß ist, in das Zentrum seines Vortrags. Er konstatierte, dass das Embryonenschutzgesetz (ESchG) trotz zahlreicher Neuerungen in Fortpflanzungsmedizin und Entwicklungsbiologie seit mittlerweile zwanzig Jahren unverändert fortbesteht. Dies sei insofern problematisch, als das Gesetz strafrechtliche Verbote enthält, die aus verfassungsrechtlichen Gründen besonders exakt formuliert sein müssen.

Taupitz gab einen Überblick über die Ziele des Embryonenschutzgesetzes und wies auf Regelungen hin, die entweder durch die jüngste Rechtsprechung – wie die des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, des Oberlandesgerichts Rostock und des Bundesgerichtshofs – eingeschränkt worden sind oder aus seiner Sicht unterschiedlich ausgelegt werden können bzw. rechtspolitisch umstritten sind. Dazu zählten das Verbot der Eizellspende, der künstlichen Befruchtung mit dem Samen eines Verstorbenen, der Erzeugung und Verwendung von Embryonen zu einem nicht ihrer Erhaltung dienenden Zweck, der Leihmutterschaft sowie das Verbot, mehr als drei Embryonen auf eine Frau zu übertragen. Auch müsse gefragt werden, so Taupitz, inwieweit es gerechtfertigt sei, den Embryo in vitro gemäß Embryonenschutzgesetz stärker zu schützen als den heranwachsenden Embryo bzw. Fötus gemäß dem geltenden Abtreibungsrecht. Dass das Embryonenschutzgesetz novelliert werden müsse, sei zwar weitgehend unbestritten; es müsse aber noch diskutiert werden, ob es zu ergänzen bzw. zu präzisieren oder durch ein breiter gespanntes Fortpflanzungsmedizingesetz abzulösen sei.

Ratsmitglied Regine Kollek zufolge ergibt sich aus den neuen Entwicklungen reproduktionsmedizinischer Techniken, dem in den vergangenen zehn Jahren geführten Ethikdiskurs und der jüngsten Rechtsprechung ein neuerlicher Diskussionsbedarf. Allerdings sei nicht klar, inwiefern die wissenschaftlich-technischen Entwicklungen eine Reform des Embryonenschutzgesetzes zwingend erforderlich machten.

In ihrem Referat stellte Kollek die technischen Möglichkeiten und Grenzen von In-vitro-Fertilisation (IVF), Intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI), Polkörperdiagnostik (PKD), Präimplantationsdiagnostik (PID) und anderer reproduktionsmedizinischer Verfahren vor. Angesichts der vergleichsweise geringen Erfolgsquoten und der relativ hohen Mehrlingsrate von IVF und ICSI gewinne nicht nur der Blastozystentransfer an Bedeutung, sondern auch die im Ausland häufig angewandte PID. Im Rahmen der Krankheitsdiagnostik werde sie zunehmend zur Identifizierung von Krankheitsdispositionen, aber auch zur Krankheitsvermeidung und zur Auswahl des Geschlechts oder eines sogenannten Retterbabys herangezogen. Darüber hinaus werde die PID vielfach auch eingesetzt, um die Schwangerschaftsrate nach IVF zu erhöhen, ohne dass dieser Effekt tatsächlich belegt sei.

Im Zuge der Debatten über eine Novellierung des Embryonenschutzgesetzes bzw. die Einführung eines Fortpflanzungsmedizingesetzes müsse, so Kollek, auch darüber nachgedacht werden, inwieweit man diesen neuen Entwicklungen Grenzen setzen sollte. Dabei müsse man auch die sozialen und Umweltfaktoren in den Blick nehmen, die Ursache unerwünschter Kinderlosigkeit sein können und den Einsatz der künstlichen Befruchtung befördern.

In der anschließenden Diskussion zeigten sich die Ratsmitglieder zunächst an ganz konkreten Aspekten des Themas interessiert: der IVF-Statistik, der Schwangerschaftsabbruchsrate nach IVF und nachfolgender Pränataldiagnostik (PND) sowie der Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung. Im weiteren Verlauf der Diskussion wurde die Frage erörtert, welche Konsequenzen eine Präzisierung des Embryonenschutzgesetzes bzw. eine umfassende Regelung der neuen Technologien im Rahmen eines Fortpflanzungsmedizingesetzes nach sich zöge und inwieweit der Ethikrat eine Hilfestellung für den Gesetzgeber bieten könnte.

Bereits im November 2009 hatte der Ethikrat im Zuge der Festlegung seines Arbeitsprogramms für 2010 das Thema Fortpflanzungsmedizin auf die Agenda gesetzt. Eine ratsinterne Arbeitsgruppe wird im August ihre Beratungen aufnehmen.

Die Präsentationen und der Audiomitschnitt der Diskussion sind im Bereich "Sitzungen" abrufbar.