Pressemitteilung 03/2017

Ethikrat hört Sachverständige zu "wohltätigem Zwang" in der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Pflege und Behindertenhilfe

Der Deutsche Ethikrat führt am kommenden Donnerstag, dem 18. Mai 2017, eine öffentliche Sachverständigenanhörung zum Thema Zwang in der Kinder- und Jugendhilfe in Berlin durch. Eine weitere Anhörung zum Thema Zwang in der Pflege und Behindertenhilfe findet einen Tag später, am 19. Mai 2017, statt. Interessenten können beide Anhörungen im Audio-Livestream mitverfolgen und online kommentieren.

Der Deutsche Ethikrat erarbeitet derzeit eine Stellungnahme zu den Fragen, welche Rolle Zwangsmaßnahmen in Praxisfeldern wie der Psychiatrie, der Pflege, der sozialen Arbeit, der Kinder- und Jugend- sowie der Behindertenhilfe spielen, inwiefern dies ethisch und rechtlich problematisch ist und welcher Veränderungsbedarf für die Praxis und deren gesetzliche Regulierung besteht. Im Fokus des Ethikrates stehen solche Zwangsmaßnahmen, die mit der Begründung des Selbstschutzes der Betroffenen gegen deren Willen ("Selbstbestimmung") durchgeführt werden (sog. wohltätiger Zwang).

Gegenstand der Anhörung am 18. Mai werden Zwangsmaßnahmen sein, die in der Kinder- und Jugendhilfe eingesetzt werden, z.B. in der Form freiheitsentziehender Maßnahmen, aber auch in Gestalt von Zwangsmedikation oder anderen Zwangsbehandlungen, Kontaktverboten sowie dem Einsatz von Belohnungs- und Bestrafungssystemen und ähnlichen restriktiven pädagogischen Maßnahmen. Im Rahmen der Anhörung möchte der Deutsche Ethikrat Erfahrungen mit Formen des wohltätigen Zwangs in der Kinder- und Jugendhilfe erfragen, den Stand der Forschung in diesem Bereich erörtern und Maßnahmen zur Förderung der Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen sowie Kontrollmechanismen für Zwangsmaßnahmen und mögliche Alternativen diskutieren. Der Deutsche Ethikrat wird Expertise aus Erziehungswissenschaft, Recht, Verwaltungspraxis und Beispieleinrichtungen einholen, aber auch betroffene Jugendliche befragen. Zum Schutz der Betroffenen wird deren Anhörung nicht öffentlich erfolgen.

Die Anhörung am 19. Mai widmet sich Zwangsmaßnahmen, denen in der Pflege und Behindertenhilfe vorwiegend Personen mit hohem Unterstützungs- und/oder Pflegebedarf ausgesetzt sind. Besonders sehr alte und schwer kranke Personen sowie Personen mit starken körperlichen bzw. kognitiven Beeinträchtigungen sind in diesen Bereichen von Maßnahmen wie Zwangsbetreuung, der unfreiwilligen Unterbringung in Behinderten- oder Pflegeheimen, freiheitsbeschränkenden Maßnahmen, diagnostischen und therapeutischen Zwangsmaßnahmen, zwangsweise durchgeführten Pflegemaßnahmen, z.B. die Körperpflege, Nahrungs- oder Flüssigkeitsaufnahme betreffend, sowie verhaltenspsychologischen Belohnungs- und Bestrafungssystemen betroffen. Mithilfe der Anhörung möchte der Deutsche Ethikrat den unterschiedlichen Erscheinungsformen wohltätigen Zwangs in der Pflege und Behindertenhilfe nachgehen sowie die Faktoren feststellen, die für deren Auftreten maßgeblich sind. Weil das Pflege- und Betreuungspersonal in diesen Bereichen sich besonders häufig auf strukturelle Bedingungen beruft, um die Ausübung von Zwang zu legitimieren, wird es ferner um die Frage gehen, wie Strukturen sich so verändern lassen, dass auf bestimmte Zwangsmaßnahmen verzichtet werden kann. Im Rahmen der Anhörung kommen Experten aus der Rehabilitationspädagogik, der Allgemeinmedizin und aus Beispieleinrichtungen sowie Vertreter von Angehörigen- und Betroffenenverbänden zu Wort.

Bereits am 23. Februar hat sich der Ethikrat im Rahmen einer ersten Anhörung mit Formen von Zwang in der Psychiatrie befasst und dazu die Expertise von Betroffenen, Angehörigen und professionellen Akteuren eingeholt.

Zu allen drei Praxisfeldern führt der Deutsche Ethikrat außerdem eine Online-Befragung durch, an der sich bis zum 31. Mai 2017 alle Personen und Institutionen mit Interesse am Thema beteiligen können.

Weiterführende Informationen:

Anhörung Zwang in der Psychiatrie, 23.02.2017

Anhörung Zwang in der Kinder- und Jugendhilfe, 18.05.2017

Anhörung Zwang in der Pflege und Behindertenhilfe, 19.05.2017